CdA KKdt Thomas Süssli referiert vor den Besuchern.
SIPOL 2024
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Gruppenfoto des Vorstandes und des Chefs der Armee, Korpskommandant Thomas Süssli
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Klare Worte des Cda am SIPOL 2024: Die Schweiz ist nicht bereit!

Klare Worte des Cda am SIPOL 2024: Die Schweiz ist nicht bereit!
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Der diesjähriger sicherheitspolitische Grossanlass «SIPOL» stand ganz im Zeichen der aktuellen weltpolitischen Sicherheitslage und der Schweizer Position in diesen stürmischen Zeiten. Die Antwort des Chef der Armee, Korpskommandant Thomas Süssli, auf die Eingangsfrage, ob die Schweiz bereit sei, konnte kurz und klar beantwortet werden: Nein.

Die neue Realität

Spätestens seit dem russichen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 wurde allen schlagartig bewusst, was die Uhr geschlagen hat: Der kalte Krieg ist zurück, die bipolare Weltordnung erwacht zu wiedergewonnener Relevanz und das Schreckgespenst «Dritter Weltkrieg» ist keine unsagbare, theoretische Masse mehr. Doch dabei sollte es nicht bleiben: Die Gewaltspirale im Jemen, der neue Gaza-Krieg und der Einmarsch der IDF in den Libanon und die territorialen Ambitionen von China gegenüber Taiwan und dem südchinesischen Meer sind einige der Brandherde, die dem Ausbruch unangenehm nahe kommen oder diesen bereits durchlaufen haben.

Die Sicherheitslage der Schweiz

Der CdA eröffnete sein Referat eingangs mit besagter Kurzantwort: Nein, die Schweiz ist nicht bereit für die neue Krisen- und Gefahrenlage. Die ausführliche Antwort wiederspiegelt, was viele bereits vermuteten: Die vergangenen Jahrzehnte unter der Annahme des ewigen Friedens haben ihre Spuren bei der Schweizer Armee hinterlassen. Die Armee dient als Mittel für den «Worst Case», wenn alle anderen Stricke gerissen und sämtliche diplomatischen Bemühungen ergebnislos geblieben sind. Dieser «Worst Case» war nicht mehr als Grundlage der strategischen Ausrichtung der Armee herangezogen worden; stattdessen wurde sie auf Subsidiarität und allenfalls kleinere, irreguläre Unruhestifter ausgerichtet. Die Kernkompetenz Verteidigung sollte zwar erhalten werden, allerdings bedeutete Kompetenzerhalt keineswegs eine Sicherstellung der Verteidigung des gesamten Staatsgebiets hinein in einen grossen, langwierigen Konflikt. Entsprechend an die neue Doktrin wurden auch Bestände und Finanzen sträflich und markant gekürzt. Prozesse wie etwa die Logistik wurde auf rein ökonomischen Gedanken aufgebaut – zentralisiert, schnell und übersichtlich, dafür kläglich ungeschützt und nicht resilient.

Hinzu kommt, dass wir stand Heute auch unsere stark reduzierten Bestände nicht mehr ansatzweise vollständig ausrüsten können. Von den drei mechanisierten Brigaden kann gerade mal eine noch wirklich ausgerüstet werden. Bei der Infanterie dasselbe Bild: Alle voll ausrüstbaren Kampfelemente zusammen entsprechen in NATO-Grössenordnungen nicht mal mehr einer einzigen Brigade.

Ein Blick über den Tellerrand

In seiner Funktion als Chef der Armee konnte KKdt Thomas Süssli aus dem Vollen schöpfen. Durch regelmässigen Austausch mit fremden Streitkräften wurde ein äusserst interessantes und breites Lagebild über den Europäischen Zustand dargelegt werden. Da seien beispielsweise Länder um uns herum wie insbesondere Deutschland, aber auch Frankreich, Italien und Österreich, die mit denselben Problemen zu kämpfen haben. Trotz teilweiser NATO-Mitgliedschaft seien diese Nationen ebenfalls nicht willig gewesen, in den letzten Jahrzehnten einen signifikanten Beitrag an die Sicherheit zu sprechen, womit für sie die Ausgangslage dieselbe ist. Ein Blick etwas weiter östlich offenbart aber äusserst Interessantes: Polen etwa hat in den vergangenen Jahren beispiellos aufgerüstet und erwartet dieses Jahr, insgesamt 4.2% des Bruttoinlandproduktes in die Sicherheit zu investieren. Im Vergleich: Die Schweiz erhöht diesen Anteil aktuell von 0.7 auf schmale 1%, wobei diese Aufstockung erst 2030 oder 2035 umgesetzt wäre. Die NATO erwartet von ihren Mitgliedsstaaten derweil 2% des BIP.

Eine weitere spannende Entwicklung findet in den baltischen Staaten statt: Auch dort sind die Investitionen in die Sicherheit markant in die Höhe geschnellt. Hervorzuheben seit der abermals erstarkte Wehrwille der osteuropäischen Bevölkerung, sich gegen Aggressionen zur Wehr setzen zu können. Insbesondere machte der CdA auf das Konzept der «Estonian Defence League» aufmerksam: Eine parallel zur regulären Armee aufgebaute Freiwilligenmiliz, die wie ein Verein organisiert sei und von ihren Mitgliedern einen symbolischen Mitgliederbeitrag verlange. Dabei würden deren Mitglieder am Freitagabend den Kampfanzug anziehen, den Ernstfall am Wochenende üben und unter der Woche wiederum ihrer regulären Beschäftigung nachgehen. Ein eindrückliches Beispiel über den Wehrwillen von bedrohten Nationen, aber insbesondere auch Ausdruck eines Kernfaktors: Die osteuropäische Bevölkerung hat Angst. Sie wissen ob der realen Gefahren, die in diesem Fall von Russland ausgehen, und investieren daher beispiellos in Sicherheit.

Wohin führt uns die Zukunft?

Der CdA erwähnte ein mögliches Desaster-Szenario, welches zwar fiktiv, aber trotzdem eindrücklich zeigt, wohin uns die Zukunft führen könnte. Es beginnt mit der Wahl von US Präsident Donald J. Trump, womit die USA ihre Unterstützung der Ukraine einstellen und sie so zur Aufgabe des Krieges bewegen könnten. Die Kampferprobten russischen Truppen würden grossmehrheitlich von der Front abgezogen und in die Regionen westlich Moskaus verschoben, in der Russland bereits heute nachweislich massiv aufrüstet. Bereits ab 2027 könnte sich Russland dazu hinreissen lassen, durch zahlenmässig kleine Kräfte ein sogenanntes «Probing» durchzuführen – eine Einnahme einer Grenznahen Stadt beispielsweise, etwa «Narwa» in Estland. Dadurch würde die NATO vor ein logistisches Dilemma gestellt: Nationen wie beispielsweise Deutschland oder Frankreich müssten signifikante Teile ihrer ausgerüsteten Kräfte nach Osteuropa verschieben, was Tage bis Wochen dauern würde, wobei der Wille dazu erstmals gegeben sein muss. Einziges Element, welches schnell und wirksam eingreifen könnte, wäre Polen mit seinen grossen und gut ausgerüsteten Kräften. Ob Polen diese aber durch die Suwałki-Lücke (die Verbindung zwischen Belarus und Kaliningrad) verschieben und dabei eine einfache Zangenbewegung seitens Russland begünstigen würde, die wiederum das polnische Heimatland ungeschützt zurücklassen würde, wäre mehr als fraglich. Die NATO könnte dabei ihr Gesicht erheblich verlieren und an wahrgenommener Stärke einbüssen. Nicht zuletzt bleibt Russland auch jederzeit die Option, taktische Nuklearwaffen als Abschreckung oder als tatsächliches Mittel einzusetzen.

Und die Schweiz? Die Schweizer Räte debattieren aktuell die Finanzierung zur Erhöhung des Armeebudgets auf 1% bis 2030 oder 2035. Eine Beschaffung von neuen Systemen von der Evaluation bis zur Einführung dauert gut und gerne ein Jahrzehnt. Nach heutiger Prognose ist damit zu rechnen, dass die Schweizer Armee realistisch wieder ab 2050 voll ausgerüstet einsatzfähig sein dürfte. Einziger Lichtblick in dieser ganzen Prognose: Der F-35A, von dem die Schweiz 36 Stück bestellt hat, diene als wahrer Gamechanger und erlaube dem Westen auch weiterhin einen technischen Vorsprung von mehreren Jahren. Er sei das einzige Mittel, auf welches Russland aktuell noch keine Antwort habe und daher ein Lichtschimmer in dem doch etwas düsteren Ausblick.

Zusammenfassend schloss der CdA allerdings mit seiner Zuversicht, dass die Message wohl auch bei unseren Volksvertretern angekommen sei und auch eine gewisse Bereitschaft spürbar sei, über den eigenen Schatten zu springen und Zugeständnisse zu machen, etwa bei der Blockade der Aufrüstung von links oder der Blockade der Finanzierung von rechts.

Offene Diskussion und Apéro riche

Die überaus spannenden Einblicke in die Einschätzungen der Armeeführung und auch die verhältnismässig düsteren Aussichten animierten eine spannende und lebhafte Diskussion. Die Gelegenheit, dem CdA persönlich Fragen stellen zu können, wurde rege genutzt, sodass nach rund einer weiteren Stunde die Fragerunde zu Gunsten des knurrenden Magens beendet werden musste.

Der Präsident der OG Aarau, Oberst Peter Baumli, verdankte den CdA bestens für seine Zeit und die kurzweiligen Einblicke in das Lagebild. Als kleines Dankeschön überreichte er ihm eine Packung Aarauer «Brändli-Bomben» (passend zum 100-Jahr-Jubiläum – die Brändli Bombe wurde 1924 anlässlich des eidgenössischen Schützenfestes in Aarau erfunden) sowie eine feine Flasche Vieille Williams, verziert mit einer handgefertigten Flasche mit Aarauer Wappen. Der darauffolgende Apéro riche übertraf wiederum die Erwartungen und sorgte für einen genussvollen und wohligen Ausklang des vielseitigen Abends.

V.l.n.r.: Hptm Florian Müller, Oberstlt Daniel Laube, Hptm Simon Baumann, KKdt Thomas Süssli, Oberst Peter Baumli, Oblt Thomas Köchli

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